Knorr-Bremse Verwaltungsgebäude
Von Bremsen zu Blusen –Industrie am Ostkreuz
Die Knorr-Bremse steigt Anfang des 20. Jahrhunderts zum führenden Fabrikat für den Schienen-und Straßenverkehr auf. Ein Besuch der ehemaligen Fabrikverwaltung lohnt sich noch heute.
Die Knorr-Bremse ist ein riesiger Gebäudekomplex an der Neuen Bahnhofstraße in Friedrichshain und einer der Berliner Standorte von Zalando. Wo heute einer der größten deutschen Online-Versandhändler Kleidung vertreibt, stellt die Knorr-Bremse AG Jahrzehnte lang eines der wichtigsten Bauteile moderner Fahrzeuge her: Bremsanlagen. Von innen können Sie das Gebäude heute leider nicht mehr besichtigen. Aber die prunkvolle Fassade von Alfred Grenander macht es zu einem eindrucksvollen Beispiel für Berliner Industriearchitektur.
Anfänge der Knorr-Bremse AG
Ende des 19. Jahrhunderts entwickelt der amerikanische Ingenieur Jesse F. Carpenter die Zweikammer-Druckluftbremse. Als die preußische Staatsbahn im Jahr 1883 ihre gesamte Flotte auf diese Technik umstellt, sieht Carpenter seine Chance gekommen: er gründet eine Bremsenfabrik in Lichtenberg. Sein Oberingenieur ist ein Mann namens Georg Knorr, zu diesem Zeitpunkt noch keine dreißig Jahre alt. Knorr ist unter anderem dafür zuständig, das Produkt auch im europäischen Ausland zu vertreiben. Als die Preußische Staatsbahn zehn Jahre später den Vertrag mit Carpenter nicht erneuert, ist die Fabrik wirtschaftlich angeschlagen. Knorr übernimmt das Unternehmen und saniert es in den folgenden Jahren.
Eine revolutionäre Technik
Ein Grund dafür, dass Carpenters Vertrag mit der Preußischen Staatsbahn ausläuft, sind die technischen Probleme seiner Bremse: zu hoher Luftverbrauch, lange Reaktionszeiten beim Bremsen und Probleme bei der Interaktion mit Bremsen anderer Hersteller.
Knorr arbeitet immer weiter daran, seine Produkte zu verbessern. Mit Erfolg: kurz vor der Jahrhundertwende entwickelt er eine neue Einkammer-Bremse. Sie hat einen kürzeren Bremsweg und macht es möglich, dass Züge ruckelfrei anhalten. Keine unkoordinierte Abbremsung von Hand mehr - das Bauteil bremst den gesamten Zugverbund gleichmäßig ab. Das ist komfortabler und sicherer zugleich. Die Preußische Staatsbahn ist begeistert, im Jahr 1900 wird die Knorr-Bremse erstmalig zugelassen.
Aufstieg der Knorr-Bremse
Es dauert nicht lange, bis Knorrs Erfindung das marktführende Fabrikat für Bremsen ist. Von Lichtenberg zieht die Firma 1899 zunächst in eine kleine Fabrik nach Britz um. Nicht nur die großen Bahnunternehmen interessieren sich jetzt für die Knorr-Bremse. Auch die erst wenige Jahre zuvor gegründete Hochbahngesellschaft Berlin will das Produkt einsetzen. Die Zahl der Mitarbeiter steigt und in den ersten Jahren des neuen Jahrhunderts wird immer deutlicher, dass Knorr eine neue Fabrikbauen muss. Sein Geschäftspartner Isidor Loewe, dessen Union Elektrizitätsgesellschaft (UEG) Straßenbahnen und elektrische Spezialmaschinen herstellt, bestärkt ihn. 1903 ist es schließlich soweit, Knorr kauft Grundstücke in der verkehrsgünstig gelegenen Neuen Bahnhofstraße in Friedrichshain. Ein neuer Fabrikkomplex entsteht.
Die „Neue“ und die „Alte“ Fabrik
Das erste Gebäude heißt später nur noch die „alte Fabrik“, auch wenn es nur zwei Jahre älter ist als die „neue Fabrik“. Es entsteht zwischen 1903 und 1904 auf dem Grundstück Neue Bahnhofstraße 11/12. Ausgelegt ist es für 170 Mitarbeiter, von denen 150 in der Produktion tätig sind. Zwischen 1905 und 1906 baut Knorr auf dem nördlich angrenzenden Grundstück Neue Bahnhofstraße 13/14 eine weitere Fabrik. Die „neue Fabrik“ schließt an die „alte“ an, so dass sie einen Hof umschließen und damit einen Gebäudekomplex bilden.
Zu diesem Zeitpunkt sind die Gebäude noch relativ schmucklos: schlichte, mit Ziegeln verkleidete Fassaden. Vielmehr stehen folgende Leitlinien bei der Planung im Mittelpunkt der Bemühungen:
- Sozial
- Hygiene
- Funktional
Breite Fenster und elektrische Beleuchtung sorgen für gute Lichtverhältnisse, eine Dampfheizung für angenehme Arbeitstemperaturen.
Ein neues Selbstbewusstsein
1911 ist ein Jahr voller Höhen und Tiefen für die Firma: der Gründer, Georg Knorr stirbt im Alter von 52 Jahren an Lungentuberkulose. Das tut dem Erfolg des von ihm gegründeten Unternehmens keinen Abbruch, noch im selben Jahr wird es zu einer Aktiengesellschaft. Der Absatz der Knorr-Bremse AG in Deutschland und Europa ist so hoch, dass eine Erweiterung der Produktionsflächen nötig wird.
Und nicht nur das: auch Räumlichkeiten für Verwaltung und Direktion kommen dazu. Was als Ingenieursbetrieb begonnen hat, ist nun ein international agierendes Unternehmen, dessen Reichweite sich durchaus mit Firmen wie Siemens oder AEG messen kann. Um diese Bedeutung auszudrücken, soll die vorhandene Fabrik repräsentativ erweitert werden. Die Firmenleitung erwirbt weitere Grundstücke in der Neuen Bahnhofstraße, bis die riesige Fläche von Nummer 9 bis Nummer 17 zur Verfügung steht. Dann beauftragt sie einen der namhaftesten Architekten ganz Berlins: Alfred Grenander. Als künstlerischer Leiter der Berliner Hochbahngesellschaft beeinflusst der gebürtige Schwede maßgeblich das Aussehen der Berliner U-und Hochbahn.
Umbau mit prächtiger Fassade
Ab 1914 baut Grenander die bestehenden Gebäude an der Neuen Bahnhofstraße 9-17 grundlegend um und errichtet in nur zwei Jahren eine – an damaligen Maßstäben gemessen – vorbildliche Industrieanlage.
Wenn Sie dem Gebäude heute einen Besuch abstatten, wird Sie Ihnen als erstes die Größe des Komplexes auffallen: Fünf Geschosse, 160 Meter Länge. Die Fassade des Verwaltungsbaus verziert Grenander unter anderem mit
- Säulenarkaden
- Reliefs aus Sandstein
- Wandpfeilern
Damit hebt Grenander das Verwaltungsgebäude von dem schlichteren Fabrikgebäude ab. Mit einer hohen Attika, einer Weiterführung der Außenwand bis zur Höhe des Dachsimses, markiert der Architekt das Verwaltungsgebäude als Mitte und Zentrum des gesamten Komplexes. So spiegelt die Aufteilung der Fassade auch die firmeninternen Rollenverteilungen und Hierarchien wider.
„Mit größter Sorgfalt und erlesenem Geschmack“
Besonders prachtvoll gestaltet Alfred Grenander die Innenräume des Verwaltungsgebäudes, vor allem die Zimmer der Fabrikdirektoren. Der Schwede ist seit 1911 Mitglied des Deutschen Werkbundes und hat damit den Anspruch, ästhetisch und qualitativ hochwertige Handwerkskunst an die Stelle von industriell gefertigten Massenprodukten zu setzen. Im Sitzungssaal, den Vorzimmern, Arbeitszimmern und Speisezimmern der Direktoren und Prokuristen gestaltet der Architekt alles selbst:
- Aktenschränke
- Anrichten
- Schreibtischstühle
- Holzfiguren an Türgriffen
- Schmiedeeiserne Leuchter
- Kronleuchter
- Brüstungs- und Aufzugsgitter.
Auch in der Wahl der Materialien drückt Grenander firmeninterne Hierarchien aus: je höher ein Mitarbeiter auf der Stufenleiter des Unternehmens steht, desto kostbarer ist die Ausstattung seines Dienstzimmers. In einem Artikel der „Zeitschrift für Bauwesen“ schwärmt der Verfasser von der Einrichtung des Knorr-Bremse-Gebäudes: „(...) die Aufteilung der Wände und Decken und die Wahl der Materialien und Farben (ist) mit größter Sorgfalt und erlesenem Geschmack vorgenommen worden“.
Unsere Tipps rund um das Verwaltungsgebäude der Knorr-Bremse
Heute können Sie das Verwaltungsgebäude der Knorr-Bremse von außen besichtigen, Führungen durch das Gebäude gibt es derzeit nicht. Wie wäre es nach einem Besuch in der Neuen Bahnhofstraße mit einem Ausflug in den Kiez rund um den Boxhagener Platz?
Hier finden sie eine lebendige alternative Szene mit Cafés, Restaurants, Second-Hand-Shops und einem regelmäßig stattfindenden Flohmarkt. Tram 240 in Richtung S Ostbahnhof bringt Sie von der Haltestelle Neue Bahnhofstraße bis zur Haltestelle Boxhagener Platz. Von dort laufen Sie durch die Simon-Dach-Straße in etwa 10 Minuten zum RAW-Gelände, einem Hotspot für urbane Kultur. Hier finden regelmäßig Konzerte statt, es gibt eine Skatehalle und Wände zum Klettern und Bouldern.
❗️Praktische Tipps von visitBerlin
Zum ehemaligen Verwaltungsgebäude der Knorr-Bremse-AG fahren Sie am besten mit der S-Bahn bis zur Haltestelle Berlin Ostkreuz. Von dort erreichen Sie das Gebäude in 5 Minuten zu Fuß über die Neue Bahnhofsstraße. Um die Stadt zu erkunden, empfehlen wir für den öffentlichen Nahverkehr die Berlin Welcome Card.