
Gasometer Fichtestraße
Berlins ältester Gas-Tank aus Stein
Mitten in Kreuzberg steht ein ungewöhnliches Gebäude: der Gasometer an der Fichtestraße, auch Fichtebunker genannt.
Kreisrunde Gebäude sind eher selten, umso imposanter ist der steinerne Gasometer, ein riesiger Zylinder an der Fichtestraße in Kreuzberg. Wer genau hinsieht, kann auf dem Dach eine Konstruktion aus Stahl und Glas erkennen.
Die Anfänge des Gebäudes reichen weit zurück in eine Zeit, bevor Berlin zur Elektropolis der 1920er Jahre wurde.
Ohne Gas geht es nicht
Ohne Gasversorgung wäre die Stadt Berlin wohl nicht eine der wichtigsten Metropolen der Moderne geworden. Heute kaum mehr vorstellbar, aber für die längste Zeit ihrer Geschichte war es nachts in stockdunkel in Berlin. Nur hier und da hingen ein paar Öllämpchen vor den Türen.
Das änderte sich erst 1826, als auf dem Boulevard Unter den Linden die ersten Gaslaternen angingen. Das Licht kommt „nicht in dürftigen Flämmchen, sondern in handbreiten Strömen“ schreibt die Vossische Zeitung begeistert.
Anfangs mussten die Laternen noch von Hand angezündet werden. Der neue Beruf des Lampenanzünders entstand. Erst seit den 1920er Jahren wurden die Gaslaternen automatisch durch Druckwellen-Fernzünder ferngesteuert.
Mehr Licht an der Spree
Ein Grund dafür, die Straßen systematisch auszuleuchten, war der Wunsch nach Eindämmung der nächtlichen Kriminalität und Prostitution. Für Bürger:innen wurde die Nacht nun plötzlich zum Tag und das künstliche Licht veränderte das Leben in der Stadt vollkommen.
Arbeiter:innen konnten in Fabriken unabhängig vom Tageslicht malochen, Nachtschwärmer:innen abends über hell erleuchtete Boulevards flanieren.
Berlin expandierte und brauchte mehr Licht, ab 1870 baute es sein Gasleitungsnetz erheblich aus.
Aber die Speicherung von Gas war - damals wie heute - nicht ungefährlich. Die Stadt erschloss daher Areale außerhalb ihrer Bebauungsgrenze, unter anderem das Köpenicker Feld nahe der Hasenheide – heute liegt hier der Stadtteil Kreuzberg.
Der letzte von vier Gasbehältern
Das Gebäude an der Fichtestraße ist der letzte noch stehende Stein-Gasometer in ganz Berlin. Ursprünglich bestand die Gasbehälter-Anstalt aus vier nahezu baugleichen Speichern.
Der Gasometer entstand in den Jahren 1883/1884 nach Plänen des Architekten Eugen Reissner. Reissner war zu dieser Zeit „technischer Dirigent“, also ein leitender Techniker der städtischen Gasanstalten. Sein Anspruch: Gebäude zu entwerfen, die den technischen Ansprüchen genügen, aber auch ästhetisch ansprechend sind.
Form und Gestaltung des Gasometers ist eine Hommage an den berühmtesten Berliner Architekten des frühen 19. Jahrhunderts: Karl Friedrich Schinkel.
Die Fassade des riesigen Backsteinzylinders wird durch Rundbogenfenster aufgelockert. Abwechselnde Lagen von hellen und roten Ziegeln schmücken die Außenmauern, auf dem Dach thronte ursprünglich eine sogenannte Schwedlerkuppel:
Eine Kuppel macht Karriere
Für die Kuppel und die Statik war seinerzeit der Ingenieur Johann Wilhelm Schwedler verantwortlich. Seine innovativen Konstruktionen machten Epoche: Die flach gewölbte Eisenkuppel war einfach aufgebaut und wog leichter als die damals üblichen Kegeldächer.
Die Verbindung von Stahlringen, diagonalen Streben und einer Abdeckung aus Holz und Teerpappe war leicht und stabil genug, um den enormen Durchmesser von 56 Metern zu überspannen. So ermöglichte es die Schwedlerkuppel, das Speichervolumen zu vervierfachen.
Andere Städte wie Hamburg, Leipzig und Wien ahmten Schwedlers Vorbild nach.
Heute ist nur noch das Gerüst der Schwedlerkuppel auf dem Fichtebunker zu sehen.
Vom Gasometer zum Kriegsbunker
Der Gasometer versorgte die Berliner Laternen für über fünfzig Jahre mit Gas.
1936 nahm ihn die nationalsozialistische Regierung außer Betrieb und baute ihn vier Jahre später zum Mutter-Kind-Bunker um. Die alten Außenmauern wurden dabei einfach als Verschalung für den neuen Bunker aus Beton genutzt.
Innen, wo zuvor ein Zylinder voller Gas gewesen war, gab es nun 750 fensterlose Räume. Bei Luftangriffen suchen hier Familien Schutz, Einlass bekamen aber nur Menschen mit Berechtigungskarte. Bis zu 7000 Personen konnte der Bunker mit seinen fast 2 Meter dicken Stahlbetonmauern aufnehmen.
Regina Schwenke, eines der Kinder von damals, erinnert sich: „Bei schweren Angriffen spürte man ein leichtes Zittern. Aber alles in allem fühlte man sich absolut sicher im Bunker.“ Das massive Gebäude war ein vergleichsweise sicherer Zufluchtsort in Lärm und Wirren des Bombenkriegs. „Man konnte sich glücklich schätzen, wenn man hier einen Platz bekam“ sagt Regina Schwenke.
Vom Bunker zum Aufnahmelager
Nach dem Krieg erlebte das Gebäude eine wechselvolle Geschichte. Es diente unter anderem als Auffanglager für Geflüchtete, Ausgebombte und heimgekehrte Soldaten. Die zellenartigen Räume legten jedoch andere Nutzungen nahe: Schon ein Jahr später, 1946, wurde unter anderem eine Jugendarrestanstalt im Fichtebunker eingerichtet.
In den 1950er Jahren wurde der Fichtebunker zum Obdachlosenasyl, auch „Republik-Flüchtlinge“ aus der DDR kamen hier unter. In der Reportage „Bunker der Hoffnungslosen“ von 1962 heißt es: „Der Bau ist ein Kreis, und das Leben drin ist ein Kreis. Rundgänge und kein Tageslicht. Hier verliert die Seele ihren Schmelz....”
Nach dem Bau der Mauer 1961 kamen weniger Flüchtlinge aus dem Osten, das Asyl schloss. Lange Zeit nutzte das Land Berlin den Bau nun für die sogenannte Senatsreserve, um für eine zweite Blockade West-Berlins gerüstet zu sein. Das Gebäude an der Fichtestraße füllte sich nun mit Grundnahrungsmitteln, Medikamenten und Rohstoffen.
Nach der Wende steht der Fichtebunker jahrelang leer. 2006 ging das Gebäude in Privatbesitz über, der Architekt Paul Ingenbleek baute sein Circle House. Er beseitigte die massiven Eingangsbauten des ehemaligen Bunkers und öffnete die Schwedlerkuppel. Übrig blieb nur ihr Stahlgerippe, das zehn kreisförmig angeordnete Reihenhäuser überspannt.
Das Innere des heute größten, noch im Originalzustand erhaltenen Berliner Bunkers wird von den Berliner Unterwelten in spannenden Führungen gezeigt:
Informationen zu Ihrem Besuch
Für die 90-minütige Führung sollten Sie warme Kleidung tragen, da die Temperaturen im Bunker das ganze Jahr über nur rund 10 Grad Celsius betragen. Außerdem sollten Sie festes Schuhwerk tragen. Für Kinder unter 7 Jahren ist die Tour nicht geeignet.
Zum Gasometer Fichtestraße fahren Sie am besten mit der U-Bahn-Linie 7 bis zur Haltestelle Südstern und gehen von dort wenige Minuten zu Fuß. Um die Stadt zu erkunden, empfehlen wir für den öffentlichen Nahverkehr die Berlin Welcome Card.