Ullsteinhaus
Zentrum der Zeitungsstadt Berlin
Zum 50-jährigen Bestehen ließ die Familie Ullstein Deutschlands größtes und modernstes Druckhaus bauen. Seine expressionistische Architektur begeistert noch heute.
Noch heute ist das Ullsteinhaus vor allem eins: imposant. Wer sich auf den Weg nach Tempelhof macht, kann den riesigen, sieben Stockwerke hohen Backsteinbau nicht übersehen. Kein Wunder, das Gebäude war für ungefähr dreißig Jahre (1927-1957) das höchste Hochhaus Deutschlands.
Das Gebäude hat mehrmals den Besitzer gewechselt und heute haben hier zahlreiche unterschiedliche Unternehmen ihren Sitz. Unter anderem gibt es Modehersteller, IT-Anbieter, Kliniken und Arztpraxen.
Eine bunte Mischung hat sich am Fuß des ehemals wichtigstem Druckhaus Deutschlands angesiedelt. Zusammen mit der Umgestaltung des Tempelhofer Hafen hat sich so ein lebendiges Quartier entwickelt - mit Bars für den Nachschwärmer und einladenden Sonnenterrassen für die zahlreichen Freizeitkapitäne.
Aufstieg des Ullsteinhauses
Seine Geschichte beginnt mit einer der einflussreichsten deutschen Verlegerfamilien, den Ullsteins. Den Grundstein für das Unternehmen legte Leopold Ullstein. Seine Geschichte ist typisch für die erfolgsverwöhnten Gründerjahre ab 1871: nachdem er als junger Papiergroßhändler nach Berlin kommt, kann er einige Jahrzehnte später, 1877, die kleine Druckerei Stahl und Aßmann übernehmen. Noch im selben Jahr gründet er den Zeitungs-und Zeitschriftenverlag Ullstein mit Sitz an der Kochstraße. Ende des 19 Jahrhunderts siedeln sich in dieser Straße noch weitere Verlage und Zeitungshäuser an. Damit entsteht in Kreuzberg ein Zeitungsviertel nach dem Vorbild der Londoner Fleet Street.
Ab 1898 geben die Ullsteins die „Berliner Morgenpost“ heraus. Die Zeitung verschreibt sich, ganz anders als Blätter wie die „Berliner Volkszeitung“ oder das „Berliner Tageblatt“, einem unparteiischen Journalismus. Die Leser wissen es zu schätzen: schon ein Jahr nach Gründung verzeichnet die „Morgenpost“ eine Auflage von 160.000 Exemplaren. Im Lauf der nächsten beiden Jahrzehnte gewinnt sie immer weiter an Zulauf und ist später mit über 600.000 Exemplaren die auflagenstärkste Zeitung der Weimarer Republik. Durch Aufkäufe und Fusionen wächst das Verlagshaus im Verlauf der 1920er Jahre enorm an.
Ullsteinhaus ist Druckerei und Vorzeigeobjekt
Die Verlagsproduktion benötigt mehr Platz, eine räumliche Teilung von Redaktion und Druckerei ist unumgänglich. Die Redaktion muss in der Kochstraße bleiben, am Puls des Berliner Zeitungswesens. Doch wo soll der Verlag die riesigen Druckmaschinen unterbringen? Glücklicherweise besitzt das Unternehmen bereits ein passendes Grundstück im Süden Berlins. Im neu erschlossenen, rasch aufstrebenden Stadtteil Tempelhof soll nun das „Ullstein-Druckhaus“ entstehen, pünktlich zum 50-jährigen Bestehen im Jahr 1927.
Ein kurzer Auszug aus dem Bauprogramm zeigt, dass es nicht nur um Funktionalität geht:
„Das Gebäude hat sich nach außen hin in möglichst repräsentativer Form zu zeigen. Wohl soll der Charakter eines Fabrikgebäudes gewahrt bleiben, jedoch wird gewünscht, daß die architektonische Gestaltung ein ansprechendes und wirksames Gepräge erhält. Es ist vorauszusehen, daß die Anlage häufig besichtigt werden wird; die Besucher sollen dann [...] einen Eindruck gewinnen, der der Bedeutung des Unternehmens entspricht.”
Mitte der 1920er Jahre beauftragen die Ullsteins den Architekten Eugen Schmohl mit der Umsetzung des Projekts. Schmohl hatte eben erst den Borsigturm in Berlin-Tegel fertig gestellt und kennt sich mit repräsentativer Industrie-Architektur bestens aus. Nun entwirft er ab 1925 das größte Druckhaus Europas.
Eine Industriekathedrale aus Backstein
Schmohl folgt den Wünschen der Ullsteins und entwirft ein Meisterwerk des Backsteinexpressionismus. Der Kern des Gebäudes ist ein Stahlskelettbau, die Wände sind in Beton gegossen. Zur Bauzeit ist es deutschlandweit der erste Fabrikbau dieser Art, sowohl in Bezug auf seine Konstruktionsart als auch seine Größe. Die gesamte Fassade ist mit rotbraunen Klinkern verkleidet und streng durch Pfeiler gegliedert. Die schmalen verglasten Reihen dazwischen erinnern an die Fenster einer Kirche. Nicht das einzige Element, das diese Assoziation wach ruft: auch der weithin sichtbare, 77 Meter hohe Turm in der nordwestlichen Hofecke sieht aus wie der Glockenturm einer Kathedrale. Als Tempelhofer Wahrzeichen beherrscht er bis heute den Stadtraum südlich des Hafens.
Die im Bauprogramm angesprochene „Bedeutung des Unternehmens“ unterstreicht Schmohl zusätzlich mit Bauschmuck. Eines der markantesten Elemente: der Pavillon vor dem sogenannten Arbeitereingang mit dem Firmenlogo, einer Eule des Bildhauers Fritz Klimsch auf dem Dach.
Das modernste Druckhaus
Auch das Innenleben des Gebäudes beeindruckt die Zeitgenossen. Wie im Bauprogramm vorhergesehen, besuchen viele Menschen dieses „Wunderwerk der Technik“. Sehr viele. Bis Ende 1932 kommen rund 50.000 Menschen nach Tempelhof, unter ihnen auch König Fuad I. von Ägypten und Sudan.
Ratternde Maschinen, über die Tausende von Zeitungsausgaben laufen – ein Besuch bei Ullstein muss damals ein sowohl ohrenbetäubendes als auch atemberaubendes Spektakel gewesen sein. In den oberen Stockwerken befinden sich Farbätzerei und Druckplattenherstellung, dann folgen weiter unten Drucksäle, Buchbindereien und im Erdgeschoss die Auslieferung. Schmohl hat alles im Sinne der Effizienz optimiert: die ausgeklügelte Konstruktion des Hauses verlegt Aufzüge und Treppen in eigene separate Anlagen. In den durchgängigen Produktionssälen sind damit schnelle räumliche Veränderungen möglich.
Der Einsatz moderner Technik sorgt für bessere Arbeitsbedingungen: Entlüftungsanlagen saugen schädliche Dämpfe ab. Befeuchtungsanlagen in den Sälen beugen zum einen Problemen beim Drucken vor und sollen zum anderen die Zahl der Krankheitsfälle senken. Damit ist das Ullsteinhaus nicht nur das größte, sondern auch das modernste Druckhaus seiner Zeit.
Das Ende der Ära Ullstein
1934 „arisieren“ die Nationalsozialisten den Ullstein-Verlag und das Ullsteinhaus. Sie enteignen die jüdische Ullstein-Familie und benennen den Verlag in „Deutscher Verlag“ um, das Gebäude in „Deutsches Haus“. Die Kriegsschäden am Haus halten sich in Grenzen und der Druckbetrieb läuft bis kurz vor Kriegsende weiter. Die sowjetische Besatzungsmacht demontiert alle noch betriebsfähigen Maschinen, ungefähr 80 % des Gesamtbestands. Den Rest machen die noch verbliebenen Betriebsangehörigen wieder flott.
Schon ab August 1945 lässt die US-Militärregierung im Druckhaus ihr offizielles Organ, die „Allgemeine Zeitung“ herstellen, bald folgte auch der „Tagesspiegel“. Im Jahr 1952 erhält die Familie Ullstein die Reste ihres früheren Besitzes zurück und beginnt, den Verlag wieder aufzubauen. Doch mehrere von Leopold Ullsteins Erben sind verstorben, Autoren verschollen, die Redaktion an der Kochstraße zerstört.
Nach finanziell schwierigen Jahren erwirbt Axel Springer 1959 den Ullstein-Verlag und verkauft kurze Zeit später das Gebäude. Damit wird der Weg für neue Läden und Firmen frei, aus dem früheren Medienzentrum wird ein Geschäftshaus.
Unsere Tipps rund um das Ullsteinhaus
Wandeln Sie auf den Spuren der Berliner Mediengeschichte am Tempelhofer Hafen. Auch wenn das Ullsteinhaus heute nicht mehr zugänglich ist, lohnt es sich, vor Ort ein Gefühl für die schiere Größe des Gebäudes zu bekommen.
Nach einem Sonnenbad oder einem Snack von Det Fischbrötchen machen Sie einen Abstecher in die gegenüberliegende Viktoriastraße. Die ufaFabrik, ein alternatives Kulturzentrum, lädt Sie ein, neugierig zu sein.
Praktische Infos von visitBerlin
Um die Stadt zu erkunden, empfehlen wir für den öffentlichen Nahverkehr die Berlin Welcome Card.