Malzfabrik Berlin
Die vier Ritter von Tempelhof-Schöneberg
Wohin der Betrachter auch schaut: Wer sich in Tempelhof am Südkreuz umblickt, kann die Malzfabrik nicht übersehen. Sie war in den 1920er Jahren die größte Malzfabrik in Europa und ist ein spannendes Denkmal der Berliner Industriearchitektur.
Die Malzfabrik beherrscht ihre Umgebung vor allem dank der vier Metallhauben, die das Gebäude überragen. Wie riesige Ritterhelme sehen sie aus – der Vergleich drängt sich geradezu auf. Auch die Bezeichnung als „Schlothexe“ ist überliefert. Einst waren diese Metall- oder „Darrhauben“ für die Malzproduktion unerlässlich, heute sind sie nur noch dekorativ.
Denn ein Brauereibetrieb ist die Malzfabrik nicht mehr. Neue Unternehmen sind hier untergekommen, die die Malzfabrik zu einem modernen Standort für Kunst, Kultur und Medien gemacht haben.
Die neuen Nutzer des denkmalgeschützten Gebäudes sind Möbelerfinder, Kreativmanufakturen, Foto-, Film- und Musikstudios, aber auch eine Computerwerkstatt und eine Schaufensterpuppenfabrikation.
Schultheiß – Geburt einer Marke
Im Jahr 1853 übernimmt der Kaufmann Jobst Schultheiß eine kleine Brauerei in der Neuen Jakobstraße im heutigen Bezirk Mitte. Mit beachtlichem Erfolg: Innerhalb weniger Jahre wird der gebürtige Franke zu Berlins erfolgreichstem Bierwirt. Als 1864 neue Besitzer den Betrieb übernehmen, bleibt der Name erhalten, denn Schultheiß ist eine Marke und so soll die neue Brauerei bis heute heißen.
Doch im 19. Jahrhundert steht der große Aufstieg erst noch bevor. Schultheiß entwickelt sich zu einem der größten Industrieunternehmen Berlins, das fast alle notwendigen Produkte selbst herstellt. Schultheiß braut nicht nur Bier, sondern verfügt über eigene Mälzereien, Fassböttchereien und Werkstätten. Das Bier wird in unternehmenseigenen Gastwirtschaften verkauft. Das Unternehmen stattet andere Gaststätten mit Garnituren aus und liefert ihnen das Schultheiß-Bier mit dem eigenen Wagenpark.
Doch der Erfolg bringt auch Probleme mit sich. Kurz vor dem Ersten Weltkrieg ist die Biernachfrage so groß, dass die eigene Malzproduktion nicht ausreicht. Schultheiß muss Malz zukaufen und kann damit die Geschmacksqualität des eigenen Bieres nicht mehr garantieren. Eine Lösung muss her und sie entsteht in Schöneberg.
Die größte Malzfabrik Europas
Schultheiß will nicht notdürftig eine Lücke in der Malzproduktion schließen, sondern das Problem grundsätzlich lösen. Die neue Mälzerei soll kein Anhängsel der Brauerei sein, sondern eine neue, eigenständige Fabrik, die ausschließlich der Malzherstellung dient. Und sie soll nicht nur den eigenen Malznachschub sichern, sondern Überschüsse produzieren, die Schultheiß an andere Brauereien verkaufen kann. Im dichtbesiedelten Berlin ist für solch ein Projekt kein Platz. Daher entscheidet sich Schultheiß für ein Gelände in der damals noch unabhängigen Stadt Schöneberg.
Dort, an der heutigen Bessemerstraße 2-14 an der Grenze zu Tempelhof, wird nicht gekleckert, sondern geklotzt. Der Architekt Richard Schlüter entwirft für Schultheiß die größte Malzfabrik Europas. Sie entsteht in nur drei Jahren zwischen 1914 und 1917, während des Ersten Weltkriegs.
Die Fabrik ist ein groß angelegter Komplex, der neben den eigentlichen Produktionsgebäuden noch eine Kellerei, einen Pferdestall, eine Maschinenhalle, ein Lager, einen Waggonschuppen und ein repräsentatives Verwaltungsgebäude umfasst. Zudem verfügt die Malzfabrik über einen eigenen Anschluss ans Eisenbahnnetz, um Getreide, Malz und Kohle für die Öfen an- und abliefern zu können. Mit der roten Klinkerfassade ähnelt die monumentale Anlage den übrigen Schultheiß-Gebäuden aus der Kaiserzeit und fügt sich somit in die Corporate Identity der Brauerei ein.
Das Wahrzeichen am Südkreuz
Der Hingucker ist jedoch bis heute das Ensemble der vier Dunstschlote oder „Darrhauben“ auf dem Produktionsgebäude. Schauen Sie einmal genau hin! Die Darrhauben sind ständig in Bewegung, denn sie drehen sich mit der Windrichtung. Was wie ein künstlerischer Kniff erscheint, erfüllte einst eine wichtige Aufgabe bei der Malzproduktion. Denn wird Gerste befeuchtet, dann entsteht durch Keimung das Malz. Dieses sogenannte Grünmalz ist wegen der Flüssigkeitszugabe jedoch noch ganz feucht. Um Bier zu produzieren, muss das Grünmalz zuerst getrocknet oder eben „gedarrt“ werden. Hierbei leisten die Darrhauben unschätzbare Dienste. Durch ihre ständige Bewegung regulieren sie im Innenraum der beheizten Darren den Luftzug. Feuchte Luft weicht so nach außen ab.
Von der Industriefabrik zum Start-up-Center
Nach dem Ersten Weltkrieg produziert die Malzfabrik auf vollen Touren. Auch den Zweiten Weltkrieg übersteht sie ohne schlimmere Schäden, obwohl Bomben das Produktionsgebäude treffen. Eine größere Herausforderung ist hingegen die Zeit unmittelbar nach dem Kriegsende 1945. Die sowjetischen Besatzer demontieren den Maschinenpark als Reparation für den deutschen Eroberungskrieg.
Die Teilung Deutschlands und Berlins tut ihr Übriges: Die DDR verstaatlicht den Schultheiß-Besitz im Ostteil der Stadt, Fabrikanlagen wie die heutige Kulturbrauerei in Prenzlauer Berg gehen damit verloren. Doch der westdeutsche Wirtschaftsaufschwung hilft auch der Schöneberger Malzfabrik. Seit den 1950er Jahren wird hier nicht nur produziert, sondern auch modernisiert. Die Fabrik erhält neue Maschinen und Produktionsanlagen.
In der Folge der deutschen Einheit 1990 kommt es auch zur Wiedervereinigung aller Schultheiß-Fabrikanlagen in Berlin. Doch was wie eine vielversprechende Expansion erscheint, kann schwerwiegende Probleme nicht überdecken. Denn der Konzern Brau und Brunnen, zu dem Schultheiß mittlerweile gehört, gerät in erhebliche Schwierigkeiten. Der Absatz sinkt und die Malzfabrik Schöneberg erscheint nicht mehr wirtschaftlich. Im Jahr 1996 stellt Schultheiß die Produktion endgültig ein. Zwar steht das Gebäudeensemble seit 1995 unter Denkmalschutz und ist daher vor dem Abriss sicher. Aber eine neue Nutzung scheint nicht in Sicht. Die Fabrikanlagen stehen leer.
Doch das Ende der Malzproduktion ist nicht das Ende der Malzfabrik Schöneberg. Wenige Jahre nach der Stilllegung entdecken Künstler und Kreative das Areal als Veranstaltungsfläche. Sie organisieren Partys und Ausstellungen. Dann zieht für einige Jahre sogar der KitKubClub hier ein. Das bringt Aufmerksamkeit. Im Jahr 2005 steigt der Investor Frank Sippel mit der Real Future AG ein und lässt die Malzfabrik als Start-up-Standort mit Fokus auf Kunst und Kultur sanieren. 2014 erhält Sippel für sein Engagement um die Malzfabrik die Ferdinand-von-Quast-Medaille, die höchste Auszeichnung des Landes Berlin für besondere Leistungen im Denkmalschutz.
Unsere Tipps rund um die Malzfabrik
Wenn Sie mehr über die Geschichte der Malzfabrik erfahren wollen, dann nehmen Sie an einer Führung teil, die die Malzfabrik jeweils an zwei Samstagen im Monat anbietet. Eine Entdeckungsreise mit vielen erhaltenen Maschinen und originalen Objekten.
Weitere interessante Baudenkmäler der Berliner Industriekultur finden Sie ganz in der Nähe, zum Beispiel das Reichsbahnausbesserungswerk Tempelhof (Sachsendamm 47) oder die ehemalige Telegrafenbauanstalt und Telegrafendrahtfabrik Mix & Genest (Geneststraße 5).