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Eingangsportal der Filmkopieranstalt Geyer-Werke AG in Berlin
Filmkopieranstalt Geyer-Werke AG © visitBerlin, Foto: Steve Simon

Geyer-Werke

Ein Monument deutscher Filmgeschichte in Neukölln

Entwickeln, Schneiden, Kopieren: in der Harzer Straße in Neukölln bekommen Filme ihren letzten Schliff.

Die Harzer Straße 39 bleibt auch heute noch ein Ort des kreativen Austauschs. Wer sich vom lebendigen Treiben im Herzen Neuköllns Richtung Treptower Park begibt, findet in der Harzer Straße einen Co-working Space. Hier können Startups und junge Unternehmen Räume mieten, Gleichgesinnte treffen und Events feiern. 
Der Ort, an dem heute über elevator pitches und exit strategies geredet wird, war früher die Heimat der Geyer-Werke, einer der wichtigsten Produktionsfirmen der deutschen Filmindustrie. Ein kleines Stück Tradition lebt jedoch noch im Gebäude weiter, eine Filmgesellschaft und ein Tonstudio haben sich ebenfalls hier niedergelassen. 

Aus der Kamera auf die Kinoleinwand 

In Filmen sehen wir sie manchmal, die altmodischen Filmprojektoren, in denen Filmstreifen über Rollen laufen. Für die längste Zeit der Filmgeschichte ist das die Methode, die Bilder zum Laufen bringt. Haben Sie sich schon mal gefragt, welche Schritte nötig sind, bevor ein abgedrehter Streifen in die Kinos kommen kann? Was passiert, wenn ein Film im Kasten ist? Wer das Material schneidet? Wie ein Film vervielfältigt wird, um an alle Kinos im Land raus zu gehen? 


Die Geyer-Werke sind für ein Jahrhundert der Ort in Berlin, an dem all das und noch mehr geschieht. Lange, bevor jemand zum ersten Mal das Wort „postproduction“ benutzt. Heute assoziieren wir mit der goldenen Film-Ära der 1920er Regisseure wie Fritz Lang, Stars wie Marlene Dietrich und Filmstudios wie die in Babelsberg. Doch ohne Firmen wie die Filmkopieranstalt Geyer Werke AG hätte niemand ihre Filme sehen können. 

Speziell nach vorhandenen Negativen 

Karl August Geyer gründet seine Kino-Kopier-Gesellschaft m.b.H schon 1911, noch bevor die Stummfilm-Ära so richtig anläuft. Nach eigener Aussage ist der Geschäftszweck seiner Firma „der Betrieb einer Fabrik für Herstellung von Kinofilmen, speziell nach vorhandenen Negativen“. Geyer will damit die Bearbeitung von Filmen aus den Filmstudios weg verlegen. Seiner Meinung nach sind die Filmkünstler zu „bohèmehaft“ für so eine technisch anspruchsvolle Arbeit, bei der es vor allem auf Präzision ankommt. 

Eingangsportal der Filmkopieranstalt Geyer-Werke AG in Berlin

Deutschlands erste Filmfabrik

Hier erfolgen alle Arbeitsschritte, die aus einem Rohfilm einen Kinofilm machen – alle, außer den Dreharbeiten natürlich. 
Die Arbeit der Kopier-Gesellschaft beginnt noch vor dem Filmdreh: Chemische Fabriken liefern den Rohfilm. In den Geyer-Werken stanzen dann spezielle Maschinen seitliche Perforationen hinein, was ein gleichmäßiges Durchlaufen der Filmrolle beim Dreh ermöglicht. 

Wenn nach Abschluss der Dreharbeiten die Filmrollen bei der Kopier-Gesellschaft eintreffen, geht die eigentliche Arbeit los. Zu dieser Zeit umfasst die Postproduktion von Filmen unter anderem:

  • Das Entwickeln des belichteten Materials
  • Das Schneiden der Szenen
  • Das Einfügen von Zwischentiteln 
  • Das Anfertigen von Kopien. 

Das Unternehmen wächst

Der Erfolg gibt Karl August Geyer Recht: nachdem die Kunden ihre Skepsis überwunden haben, brummt das Geschäft. Die Belegschaft wächst, zu den besten Zeiten arbeiten dort über 200 Menschen. Das Unternehmen entwickelt sich immer mehr zu einem industriellen Massenbetrieb. Automatisierung steigert die Produktion.  
Mehr Platz muss her, die alten Räume in der Kaiser-Friedrich-Straße und der Finowstraße sind zu eng. Vor allem sollen zusätzliche „Kundenräume“ entstehen, in denen Regisseure und Abzieher (zuständig für das Schneiden und Kleben der Filme) in aller Ruhe arbeiten können. 

Umzug nach Neukölln 

Ab April 1927 entsteht das neue Gebäude der Geyer-Werke in der Harzer Straße in Neukölln. Der Architekt ist kein Unbekannter. Otto Rudolf Salvisberg wirkt in diesen Jahren noch an wichtigen Bauten der Berliner Moderne mit, wie den Siedlungen Weiße Stadt in Reinickendorf und Onkel Toms Hütte in Zehlendorf. 

Für Karl August Geyer entwirft Salvisberg einen Backsteinbau mit vier Geschossen und über 10.000 Quadratmetern Betriebsfläche. Von außen sieht die neue Kopieranstalt nüchtern aus. Die Fenster sind ohne besonderen Schmuck in die Klinkerfassade eingelassen. Ein turmartiger Bau krönt das Hauptportal. Wenn Sie genau hinsehen, erkennen Sie am Eingang ein originelles Detail: horizontale Streifen aus Backstein mit einem Endlosband des Firmennamens.

Sie erinnern an Filmstreifen und setzen der Filmfabrik ein steinernes Denkmal. Auf drei Etagen wird nun 

  • entwickelt
  • gefärbt 
  • getrocknet
  • kopiert
  • gedruckt

Überall stehen Maschinen, die einen anderen Zweck erfüllen: Perforiermaschinen, Kopiermaschinen und Druckmaschinen für die Zwischentitel der Stummfilme. Ein Rohrleitungsnetz verteilt die benötigten Chemikalien aus einem zentralen Labor an die Arbeitsplätze. Die Geyer-Werke funktionieren wie ein gut geöltes Uhrwerk. 

Klinkerfassade der Filmkopieranstalt Geyer-Werke AG in Berlin

Filmklassiker aus dem Hause Geyer

In den 1920er und 1930er Jahren geben sich in der Harzer Straße wichtige Filmemacher und Schauspieler die Klinke in die Hand. Berühmte Regisseure wie Friedrich Wilhelm Murnau lassen hier ihre Filme produzieren. Aus dem Negativ von Murnaus Film „Die Vier Teufel“ fertigen die Techniker in der Harzer Straße innerhalb kürzester Zeit 375 Kopien – ein großer Erfolg für das Unternehmen. 

Im Lauf des 20. Jahrhunderts sollten noch weitere Filmklassiker aus dem Hause Geyer dazu kommen. Werner Herzog gibt hier „Aguirre, der Zorn Gottes“ den letzten Schliff, Wim Wenders bearbeitet in Geyers Schneideräumen „Paris, Texas“. Rainer Werner Fassbinder ist in den 1970er Jahren Stammgast.  

Doch in der Harzer Straße entstehen nicht nur cineastische Meilensteine, sondern auch Propagandasteifen. Zur Zeit des Nationalsozialismus erhält Karl August Geyer, selbst Mitglied in der NSDAP, den Auftrag, Leni Riefenstahls Film „Triumph des Willens“ zu bearbeiten. Nicht zuletzt deshalb hat Karl August Geyer nach dem Krieg einige Mühe „entnazifiziert“ zu werden. 

Ende nach 102 Jahren 

Im Krieg verliert Karl August Geyer seinen Sohn Walter, den Betriebsleiter der Werke. Das Gebäude in der Harzer Straße übersteht den Krieg weitgehend unversehrt. Anschließend demontieren sowjetische Soldaten alle unbeschädigten Maschinen. 

Es dauerte bis zur Mitte der 1950 Jahre, ehe der Betrieb in der Harzer Straße wieder anläuft. Die Geyer-Werke gehen mit der Zeit, ein Synchronstudio zieht ein, auch das Fernsehen gibt jetzt hier Postproduktionen in Auftrag. 

In den 1990er und 2000er Jahren findet in den Geyer-Werken die Bearbeitung von internationalen Erfolgen wie „Lola rennt“ und der „Matrix“-Trilogie statt. Doch nach der Jahrtausendwende sinkt der Umsatz immer weiter, im Jahr 2013 schließlich meldet das Unternehmen Insolvenz an. 102 Jahre nach der Firmengründung und 75 Jahre nach Errichtung der Geyer-Werke endet damit ein wichtiges Stück Berliner Filmgeschichte. 

Sie können die Geyer-Werke heute von außen besichtigen, Führungen durch das Gebäude gibt es derzeit nicht. Nach einem Besuch in der Harzer Straße bietet sich ein Abstecher in den Treptower Park an. Laufen Sie dafür zur Bushaltestelle Elsenstr./Kiefholzstr. Und nehmen Sie dort Buslinie 194 in Richtung Marzahn, Helene-Weigel-Platz. Steigen Sie am S-Bahnhof Treptower Park aus und erkunden Sie den Park mit dem Sowjetischen Ehrenmal

Praktische Tipps von visitBerlin

Zu den Geyer-Werken in der Harzer Straße fahren Sie am besten mit der U-Bahn-Linie 7 bis zur Haltestelle Karl-Marx-Straße. Von der Bushaltestelle Werbellinstraße fahren Sie mit der Buslinie 166 in Richtung S Schöneweide und steigen an der Haltestelle Harzer Str./Wildenbruchstraße aus.
Um die Stadt zu erkunden, empfehlen wir für den öffentlichen Nahverkehr die
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