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INSZENIERTE LESUNG
Während des wirtschaftlichen Aufschwungs im Nachkriegsdeutschland wollte niemand mit den Themen Nazi-Verbrechen der Vergangenheit, Zivilisationsbruch und Holocaust in Verbindung gebracht werden. Die Morde wurden aus der Erinnerung verbannt, aber der Schmerz blieb.
Und auch heute noch möchte niemand daran erinnert werden, was die eigene Rolle in dieser Geschichte war und ist – schon gar nicht von „Fremde“, von Fremden oder Fremden.
Aber es gibt Kinder, die in diesem Land aufwachsen, markiert als Ausländer, als Migranten, als Menschen, die besser niemand sein sollten, weil ihr Ich das Wir der sogenannten deutschen Mehrheitsgesellschaft bedrohen könnte.
In „Fremd“ erzählt Michel Friedman die autobiografische Geschichte eines solchen Kindes: eines jüdischen Migranten, der in eine Familie von Shoah-Überlebenden hineingeboren wurde.
Das Kind versucht trotz familiärer Traumata, Assimilationsdruck und Rassismus seinen Platz in der Welt zu finden.
SIBEL KEKILLI ist eine der international renommiertesten deutschen Schauspielerinnen. „Fremd“ ist ihr Theaterdebüt.
Zusätzliche Informationen
1956 wurde Michel Friedman in Paris geboren. Als Staatenloser. Als Sohn von Holocaustüberlebenden, die aus Polen stammten und nun, ebenfalls staatenlos, in Frankreich Schutz suchten, später in Deutschland, dem Land der Mörder. Sie suchten Schutz vor einer Welt, in der Menschen entschieden hatten, dass sie keine Menschen seien, dass sie nicht mehr existieren sollten – sie konnten gerettet werden. Doch schon kurz nach dem Krieg wollte davon niemand etwas wissen, niemand wollte sie: die Erinnerung, die Schuld; niemand will sie: die Überlebenden, die „Fremden“.2023 ist noch immer, ist schon wieder, eine Welt des Krieges und des Hasses. Auch nach fast 80 Jahren „Nie wieder“ machen Parteien in Deutschland, in Europa und weltweit, wieder und wieder Politik damit, Menschen das Recht abzusprechen, jemand, nicht nur fremd, sondern Mensch zu sein. In Anlehnung an Hannah Arendt könnte man sagen: Wer als Fremder angegriffen wird, kann nur als Fremder antworten. Wer von außen zum Fremden gemacht wird, bleibt es auch im Inneren; lebt in Angst und bleibt stumm.Stumm bleiben ist Michel Friedmans Sache nicht und so hat er unter dem Titel "Fremd" ein sehr persönliches Buch geschrieben: über sein Aufwachsen als Fremder, als Migrant, als Jude, als Kind, das ein Niemand bleiben solle und doch darum rang jemand zu sein. Das Buch ist Bericht des Leben-Wollens, des Überleben-Müssens, der weit über ein einzelnes Schicksal hinaus geht.Die vielfach preisgekrönte Schauspielerin Sibel Kekilli liest diesen berührenden Text in einer inszenierten Lesung von Regisseur Max Lindemann und gibt damit ihr Theaterdebüt.von Johannes Nölting
Teilnehmende Künstler
von Michel Friedman (Autor/in)
Sibel Kekilli
Max Lindemann
Janina Kuhlmann
Luna Zscharnt
Hans Fründt
Johannes Nölting