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Die geheiligte Moderne mit ihren großen Versprechungen von Demokratie, Emanzipation und Fortschritt bedeutet für den namenlosen Erzähler aus Dostojewskis Kellerloch vor allem eines: Leiden. Das grenzenlose Leben in der Großstadt, der Anspruch auf Freiheit und die Kostbarkeit des eigenen Lebensentwurfs – nämlich genau so leben zu können, wie man es möchte – scheinen doch am Ende sehr der eigenen Erfahrungswelt zu widersprechen.


Stattdessen bleibt er isoliert, allein und gekränkt auf sich selbst zurückgeworfen. Aber gibt es das denn überhaupt, "freien Willen"? Kann man das überhaupt, "Leben nach eigener Vorstellung"? Oder ist das am Ende doch nur etwas für die "happy few", in einer Welt, die längst berechnet und verkauft ist? Der Graben zwischen moralischem Anspruch einer Gesellschaft und der tiefen Kränkung derjenigen, die sich davon nicht bedacht fühlen, führt geradewegs in eine unheilvolle Sensibilität, der scheinbar nur schwer anders als mit Wut, Empörung und Selbsterniedrigung begegnet werden kann.

In einer Abrechnung und Annäherung gleichermaßen, die Selbstermächtigung und Glaubensbekenntnis ist, versucht Dostojewskis Protagonist, zu sich selbst und zurück zur Gemeinschaft zu finden. Fjodor Dostojewskis Roman Aufzeichnungen aus dem Kellerloch gilt als einer der ersten existenzialistischen Schriften und erschien 1864. Er fand Bewunderung bei Friedrich Nietzsche wie bei Albert Camus. Der Autor, gerade Entlassen aus der Lagerhaft in Sibirien, geplagt von epileptischen Anfällen und hoch verschuldet durch seine Spielsucht, geht dabei in seiner „psychologischen Studie“ keiner geringeren Fragen nach als denen, nach der Freiheit des Menschen und der Suche nach Gemeinschaft.

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Zusätzliche Informationen
DIE UNSICHTBARENDie meisten Dinge im Leben sind in Systemen geordnet; seien es politische Systeme und Staatsformen, Wirtschaftssysteme, Sitten und Sprache, Mythen und Glaube oder Organisationsformen von Wissen. Menschen schaffen Systeme, um sich die Natur, die Umwelt und jede Form von Miteinander handhabbar zu machen. Sie schützen vor dem Nichts – vor der Sinnlosigkeit und Grausamkeit der Welt.Ein Problem allerdings, das sich damit stellt, ist, dass Systeme immer auch Macht bedeuten. Sie machen die Welt zwar verfügbar, aber so gut wie nie komplett und nie für alle. Die Menschen nun, die – selten freiwillig – außerhalb dieser Systeme geraten, sind es, die im Mittelpunkt von Dostojewskis Werk stehen: Die Unsichtbaren, die nicht reich, klug, jung oder fortschrittlich genug sind. Diese Menschen sind nicht gern gesehen und sie kommen auch selten in der Literatur vor. Die Gefahr, die die Unsichtbaren darstellen, ist nämlich, dass sie sichtbar machen, dass Systeme menschengemacht sind und damit veränderbar; sie sind gefährdet und gefährdend gleichermaßen. Diese Unsichtbaren zeigen, dass es etwas gibt, das außerhalb des Systems ist und das liegt daran, dass Systeme nicht natürlich sind. Und wenn die Welt veränderbar ist, bedeutet das auch, dass wir, die wir in den Systemen leben, für sie verantwortlich sind und einen Umgang mit dem, was außerhalb ist, finden müssen.Die Totalität von Systemen nivelliert den Menschen – das zeigt sich bei Dostojewski an denjenigen, die in ihnen nicht vorkommen, die am Rand oder vor dem Abgrund stehen und nicht weiter wissen. Denn in ihnen offenbart sich die menschliche Existenz – als schmerzhaft und gefährdet, aber frei.Denn der Mensch hat eine Wahl – wenn auch keine leichte. Dostojewski besteht darauf, dass sich die Freiheit des Menschen, die er zwischen den zwei Polen der Welt – dem Glauben und dem Wissen – verloren sieht, im Wollen besteht. Wo der Glaube den Menschen zu sittlicher Demut ermahnt und das Wissen dem Menschen beweist, dass er nichts weiter als eine Reihe molekularer Kausalketten ist, können wir Freiheit wollen und sind damit verantwortlich. Die Welt ist ein System vor dem Abgrund – und es liegt an uns sie zu gestalten. •Johannes Nölting

MIT Oliver KraushaarREGIE Max LindemannBÜHNE Katja PechKOSTÜM Anneke GoertzLICHT Arnaud PoumaratDRAMATURGIE/BEARBEITUNG Johannes Nölting
Teilnehmende Künstler
von Fjodor M. Dostojewski (Autor/in)
Oliver Kraushaar
Max Lindemann
Katja Pech
Anneke Goertz
Johannes Nölting
Termine
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