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Wohnanlage Paul-Francke-Straße und Grabbeallee
Wohnanlage Niederschönhausen, Paul-Francke-Straße und Grabbeallee © Landesdenkmalamt Berlin, Foto: Wolfgang Bittner

Wohnanlage Niederschönhausen - Paul-Francke-Siedlung

Klare Formen statt historistischem Prunk

Mit seiner Wohnanlage in Niederschönhausen durchbricht der Architekt Paul Mebes die herrschende Ästhetik der Gründerzeit.

Im Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert dominiert die Architektur des Wilhelminismus in Berlin. Große Gebäude mit Stuckfassaden und vier bis fünf Geschossen, die Hausflügel um einen schmalen Innenhof gruppiert.
Der damalige Architekturstil macht zahlreiche Anleihen bei früheren Epochen, wie etwa Romanik, Gotik, Renaissance und Barock. In den Vorderhäusern leben meist vermögende Mieter, daher sind die Fassaden zur Straßenseite hin mit Säulen, Kränzen, kleinen Giebeln, Figuren und Schmuckbändern reich verziert.

Neuer Zeitgeschmack

Kurz nach der Jahrhundertwende ändert sich die Haltung zum wilhelminischen Stil. Den überbordenden Formen soll mehr Einfachheit gegenüberstehen.

Einen großen Einfluss übt in diesem Zusammenhang die 1908 veröffentlichte Publikation Um 1800 von Paul Mebes aus. In ihr beklagt der Berliner Architekt die „höchst unerquickliche Jagd nach allen möglichen der Vergangenheit angehörenden Baustilen“. Sein Gegenentwurf: die Rückkehr zu Bauweise und Architektur des Klassizismus, aber weg vom Ornament, hin zu mehr Sachlichkeit.

Wie der Architekt bei der Umsetzung von der Theorie in die Praxis vorgeht, können Sie bei einem Besuch in Niederschönhausen entdecken. Hier entsteht im Auftrag des Beamten-Wohnungs-Vereins ab 1908 an der Grabbeallee eine neue Wohnanlage nach den Plänen von Paul Mebes und seinem Partner Paul Emmerich.

Schöner wohnen für Beamte

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts herrscht Wohnungsnot in Berlin. Die Stadt wächst, und auch Menschen in besser bezahlten Berufen, wie zum Beispiel Beamte, können sich keine angemessenen Wohnungen mehr leisten.
Der 1900 gegründete Beamten-Wohnungs-Verein soll dem Zweck dienen, seinen Mitgliedern zu größeren und komfortableren Wohnungen zu verhelfen. Fünf Jahre nach Gründung zählt die Genossenschaft über 10.000 Mitglieder.
Die Wohnanlage in Niederschönhausen ist nach Siedlungen in Steglitz und Charlottenburg bereits Paul Mebes‘ drittes Projekt im Auftrag des Beamten-Wohnungs-Vereins.
Mebes und Emmerich erschließen das Grundstück durch die Anlage einer bogenförmigen privaten Wohnstraße, der heutigen Paul-Francke-Straße. Darüber hinaus sieht der Entwurf im südlichen Teil der Siedlung Wohnhöfe vor. Diese sind durch eine halboffene Bauweise geprägt, im Gegensatz zu den geschlossenen, lichtarmen Höfen der Mietskasernen.

Insgesamt entstehen auf dem Terrain 27 Häuser mit zwei bis drei Geschossen und Platz für 174 Wohnungen.

Wohnanlage Paul-Francke-Straße und Grabbeallee
Wohnanlage Niederschönhausen, Paul-Francke-Straße und Grabbeallee © Landesdenkmalamt Berlin, Foto: Wolfgang Bittner

Bruch mit der Konvention

Die Fassaden der Wohnanlage Niederschönhausen weisen die klassizistischen Elemente auf, die ihr Architekt Paul Mebes in seinem Buch zum Ideal erhoben hat.
Sie bestehen hauptsächlich aus roten märkischen Ziegeln. Nur im oberen Drittel sind die Quader von schlichten weißen Schmuckbändern durchbrochen. Eine Auflockerung erzielt Mebes vor allem durch die Gliederung der Gebäude: Loggien mit halbrunden Öffnungen, vorspringende Lauben und Giebel geben den Häusern ihre symmetrische Struktur.

Die Reduktion auf geometrische Grundformen bei den Häusern vermittelt ein Gefühl der Ruhe, das noch weiter verstärkt wird durch die Bepflanzung. Das Grün der Natur erzeugt einen harmonischen Kontrast zum Rot der Fassaden.
Neben dem Bruch mit dem wilhelminischen Architekturstil geht es auch um die Verbesserung der Wohnbedingungen. In der Paul-Francke-Siedlung sollen die Mieter mehr Licht und Sonne genießen können. Deshalb haben alle Wohnungen Sonnenlage und verfügen über eine Loggia mit Blick ins Grüne.

Die Wohnanlage Niederschönhausen steht am Anfang von Paul Mebes‘ langjähriger Entwurfstätigkeit in Berlin. Zusammen mit Paul Emmerich plant er zahlreiche Bauprojekte, darunter auch weitere Wohnanlagen.

Grand Tour der Moderne

Zum 100-jährigen Bauhaus-Jubiläum im Jahr 2019 entwickelte der Bauhausverbund eine Grand Tour der Moderne, die Architekturfans durch ganz Deutschland führt. Die Gartenstadt Falkenberg ist Bestandteil dieser Themenroute.

Die weiteren Berliner Standorte als Grand Tour der Berliner Moderne:

Grand Tour der Berliner Moderne

Unsere Tipps rund um die Paul-Francke-Siedlung

In unmittelbarer Nähe der Siedlung zeigt sich Berlin von seiner grünen Seite. Fußläufig zu erreichen laden Bürgerpark Pankow und Schloss Schönhausen zum Besuch ein.

Praktische Infos von visitBerlin

Die Paul-Francke-Siedlung erreichen Sie vom Alexanderplatz am besten mit der U-Bahnlinie U2 bis U-Bahnhof Pankow und dann mit der Straßenbahnlinie M1. Um die Stadt zu erkunden, empfehlen wir für den öffentlichen Nahverkehr die Berlin Welcome Card.

Eine Bitte in eigener Sache

Die Siemensstadt ist ein ausgewiesenes Flächendenkmal. Gleichzeitig ist sie aber auch das Zuhause vieler Menschen, die hier wohnen und arbeiten. Diese pflegen das Denkmal und helfen, die Erinnerung zu bewahren.
Bitte berücksichtigen Sie dies bei Ihrer Besichtigung. Vielen Dank!